Interview in der "transfer"
(Zeitschrift für rückkehrende Fachkräfte aus dem Ausland)
Führungskräfte müssen ihre Aufgaben heute in einer sich immer schneller entwickelnden und komplexer werdenden Arbeitswelt bewältigen: Globalisierung, Digitalisierung, Aspekte wie Teilzeitbeschäftigung, Homeoffice-Arbeit und vieles mehr stellen Führungskräfte ständig vor neue Herausforderungen.
Und daher beginnt für mich „moderne Führung“ in der jeweiligen Führungskraft selbst. Führungskräfte müssen in ihrem eigenen Mindset – den Haltungen und Werten, mit denen sie ihren Aufgaben begegnen – zuerst einmal eine große Ofenheit mitbringen. Nur so können sie mit diesen Entwicklungen erfolgreich umgehen. Man kann nicht mehr – wie früher – alles selbst entscheiden, koordinieren, organisieren und kontrollieren. In modernen Strukturen arbeiten daher Teams und Führungskräfte Hand in Hand. Es wird mehr Verantwortung auf die Mitarbeitenden übertragen bis hin zur Selbstorganisation. Das heißt, die Teams haben viel Spielraum für Entscheidungen, setzen eigene Schwerpunkte usw.
Es gibt eine bunte Landschaft: Manche Unternehmen setzen heute sehr stark auf Selbstorganisation, manche entwickeln sogar genossenschaftsähnliche Strukturen, um der Partizipation möglichst viel Raum zu geben. Es gibt aber auch solche, in denen immer noch patriarchalische, hierarchische Strukturen vor-herrschen – mit wenig Spielräumen sowohl für die Mitarbeitenden als auch für die Führungskräfte. Dort gilt das Motto „Das machen wir seit 50 Jahren so!“ und Kontrolle spielt eine größere Rolle als Vertrauen.
Die Veränderungen in der Arbeitswelt sind in vielen Bereichen so immens und so schnell, dass Führungskräfte, die im klassischen Führungs-sinne alles in der Hand halten wollen, schneller im Burnout sind, als sie denken. Eine wesentliche Anforderung ist daher, die bereits angesprochene Ofenheit und Bereitschaft zu zeigen, um gemeinsam mit dem Team mit dieser Komplexität und Schnelligkeit des Wandels umgehen zu können. Wie lassen sich gemeinsam Wege finden, um die Ziele unter sich verändernden Rahmen-bedingungen zu erreichen. Die Essenz ist nach meiner Erfahrung die Mindset-Arbeit: Wie gut kenne ich mich und meine Grenzen? Wie viel Verantwortung kann ich abgeben? Wie gehe ich mit mir selbst um und wie gehe ich mit anderen um?
Dann ist es wichtig, Achtsamkeit zu zeigen und die Grenzen und Potenziale der Mitarbeitenden gut wahrnehmen zu können: Wie lassen sich die Menschen im Team motivieren und stärken. Das sind wichtige Voraussetzungen für Vertrauen und das Wir-Gefühl, aber auch für Gesundheit und Leistungsfähigkeit des gesamten Teams. Weiter-hin spielt das Thema „Lernen“ eine große Rolle – und zwar Lernen mit dem Team, besser noch mit der ganzen Organisation. Führungskräfte müssen für eine positive Lern- und Fehlerkultur sorgen. Wir leben ja in einer Gesellschaft, in der ein konstruktiver Umgang mit Fehlern nicht selbst-verständlich ist. Fehler passieren aber – und sie können wertvoll sein, wenn sie erkannt und reflektiert werden und dann Lernprozesse und Entwicklungen anstoßen.
Interkulturelle Kompetenzen werden heutzutage für Führungsaufgaben in vielen Unternehmen immer bedeut-samer. Es gibt häufiger sehr diverse, international zusammengestellte Teams, die auch nicht mehr unbedingt alle an einem Ort, sondern auf der ganzen Welt verteilt arbeiten.
Darüber hinaus haben viele Fachkräfte im Entwicklungsdienst gelernt, sich schnell auf neue Situationen einzustellen, Pläne anzupassen und eventuell auch schnell durch neue zu ersetzen. Viele haben auch gelernt, in schwierigen, manchmal sogar gefährlichen Situationen Geduld und Ruhe zu bewahren, bringen also eine große Emotionskontrolle mit. Dann beob-achte ich bei Fachkräften oft eine ungewöhnliche Resilienz. Das sind alles positive Faktoren für die Arbeit als Führungskraft.
Man muss zunächst für sich persönlich die Frage klären: Was bedeutet es für mich, Führungskraft zu werden? Warum will ich überhaupt in diese Richtung? In dieser Phase kann es sehr sinnvoll sein, sich coachen oder beraten zu lassen. Wenn man dann feststellt, dass es einen dahin zieht, dass man mit Menschen arbeiten möchte, dass man bereit ist, mehr Verantwortung zu tragen, dann folgt der nächste Schritt. Man muss prüfen, welches Verständnis von Führung man hat und welche Werte man vertritt. Wie ist die eigene Persönlichkeit gestrickt? Hat man die nötige Ofenheit? Kann man gut loslassen und Leuten Verantwortung übergeben? Kann man ganzheitlich denken und über den Teamtellerrand hinaussehen?
Man sollte auch berücksichtigen, dass die neue Arbeitswelt auch neue Möglichkeiten bietet, was Führungspositionen angeht. Es gibt Unternehmen, in denen man eine Zeit lang führen kann, um dann wieder in die fachliche Arbeit zu wechseln. Und es gibt solche, in denen die Führung innerhalb eines Teams regelmäßig wechseln kann. Man ist sozusagen Führungskraft auf Zeit. Es gibt inzwischen auch Führungskräfte, die im Tandem arbeiten und sich eine Position teilen, und solche, die – je nach Lebensphase oder familiärer Situation – in Teilzeit arbeiten.
Wenn man für sich geklärt hat, mit welchem Führungsverständnis man arbeiten möchte, dann beginnt die Suche nach Organisationen, die geeignete Strukturen haben. Da gibt es zunächst den klassischen Weg, Stellenausschreibungen zu sichten. Ein weiterer Weg ist es, über Netzwerke oder über Social Media, über XING oder LinkedIn in Kontakt mit Leuten aus interessanten Organisationen zu kommen. Auch Events wie Messen, Fachveranstaltungen und Kongresse eignen sich, das eigene Netzwerk zu vergrößern. Wenn man solche Kontakte aufgebaut hat, kann man Interesse an einer Führungsposition signalisieren. Über das Netzwerk erfährt man möglicherweise dann auch von nicht ausgeschriebenen Stellen. Ein weiterer Weg ist die Initiativbewerbung. Und schließlich gibt es noch die Möglichkeit, sich über Headhunter vermitteln zu lassen.
Die Suche nach einer geeigneten Stelle ist oft ein Prozess, der etwas Zeit und Geduld braucht: Man kann nicht aus dem Ausland zurückkehren und sagen, ich will jetzt eine Führungsposition haben, sondern man entwickelt sich und sein Netzwerk dahin.
Wenn man eine Zusage bekommen hat, sollte man sich nicht bis zum Tag eins zurücklehnen, sondern Initiative zeigen, den persönlichen Kontakt suchen und bald erste Gespräche führen. Man kann sich schon einmal Materialien schicken lassen, die für den Einstieg wichtig sind, oder nachfragen, ob sich schon bestimmte Tools freischalten lassen oder ob man sich schon mit spezifischer Software vertraut machen kann.
Es ist dann wichtig, das Team und das organisatorische Umfeld in den eigenen Einstiegsprozess einzubeziehen. Daher sollte man möglichst viel mit dem Team besprechen, Vertrauen aufbauen, sich austauschen und konstruktive TeamMeetings anberaumen – dazu muss man genügend soziale Zeiten des Kennenlernens einplanen. Auch in dieser Phase, in der man die eigene Rolle finden muss, kann Beratung oder Coaching wertvoll sein. Ich werde beispielsweise öfter angefragt, Fachkräfte in ihren ersten 100 Tagen zu begleiten.
Viele Unternehmen unterstützen ihre Führungskräfte in dieser Hinsicht. Sie stellen teilweise persönliche Budgets bereit, damit man sein eigenes Weiterbildungsprogramm zusammenstellen kann. Da entscheidet die Führungskraft dann selbst, ob man mit einem Coach arbeitet oder an Seminaren teilnimmt. Größere Unternehmen haben oft eigene Weiterbildungsangebote, zu denen die Führungskräfte Zugang haben und aus denen sie – teils in Absprache mit der Personalentwicklung – geeignete Bausteine auswählen können.
Wenn man am Weiterbildungsmarkt nach Angeboten sucht, sollte man zunächst prüfen, ob man ein Zertifikat erlangen möchte und welche Anerkennung das Zertifikat des jeweiligen Anbieters dann hat.
Und auch hier kann das eigene Netzwerk oft bei der Auswahl am besten weiterhelfen. Wenn man weiß, welches Thema man belegen will, hört man sich um: Wer hat mit welchem Anbieter gute Erfahrungen gemacht? Oder: Welche*r Coach ist zu empfehlen?
Es gibt Hinweise auf verschiedene Formen von Diskriminierung – und das nicht nur mit Blick auf Führungspositionen. So ist bekannt, dass beispielsweise Menschen mit bestimmten ausländisch klingenden Namen seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen werden. Das lässt sich aber im Einzelfall nicht nachweisen und von daher hat man da keine Handlungsoptionen.
In meiner Beratungsarbeit erzählen mir Frauen auch immer wieder, dass sie im Bewerbungsgespräch auf das Thema Familienplanung angesprochen wurden und sich dazu erklären sollten. Das ist natürlich rechtlich nicht zulässig. Aber: Wie geht man damit um? Hier stellt sich meines Erachtens die Frage, ob man wirklich in einer Organisation arbeiten möchte, die nicht auf die Bewerberin mit ihren Kompetenzen eingeht, sondern für die eine hypothetische Schwangerschaft schon ein Problem ist? Also: Sich dort einklagen ist sicher ein problematischer Weg, den ich nicht empfehlen kann.
Es gibt ja auch immer mehr Unternehmen, die konstruktive Angebote machen, wie man neue Lebens oder Familiensituationen mit der Arbeit in Einklang bringen kann – beispielsweise in Richtung Kinderbetreuung, Teilzeit etc.